Untitled – 63
Ein weiterer Gastbeitrag. Dieses mal von Piet Ingo Peter.
Morgens im Zelt wach zu werden war bisher selten angenehm – doch auch immer einhergehend mit einer ersten Erkenntnis. Entweder ist es tierisch laut, da der Wind das Zelt zum Zittern bringt und der Regen darauf eindonnert. Oder das Atmen fällt einem schwer, es ist stickig und warm, da die Sonne das Zelt zum Glühen bringt.
An diesem Tag war Letzteres der Fall – zum Glück, denn ein weiterer grauer Tag wie gestern mit Nässe von allen Seiten hätte wahrscheinlich bei vielen eine Depression ausgelöst.
Ich öffne den Reißverschluss unseres Zelteingangs einen Schlitz weit, um an rettenden Sauerstoff zu kommen. Bloß nicht zu weit öffnen, schließlich wartet vor den Toren eine Heerschar von Mücken nur darauf, in das von Sophie immerzu tapfer verteidigte Schlafgemach einzufallen. Ich wage einen Blick nach draußen. Vor mir erstreckt sich auf engstem Raum das Schlachtfeld der regenreichen Vornacht. Kochtöpfe, Becher, Geschirr und Gaskocher zwischen nassen Klamotten, Schuhen sowie sonstigen Gegenständen des – wirklich sehr umfangreichen – Haurats.
Den Hügel aufwärts sehe ich die ersten Gestalten der Familie. Und höre in der Ferne leise auch das Geräusch, das Leben in mir erweckt – das Zischen eines weiteren Gaskochers. Dort oben wird Kaffee gemacht – das erste Tagesziel ist gesetzt.
Auf den Kaffee folgt der obligatorische Haferbrei, mit all den Früchten und Nüssen darin. Zwischendurch rennt Herr Schmidt, Held und Herr der Kochtöpfe, leicht hektisch Richtung Wasser, um seine Beine darin zu versenken. 30 Mückenstiche gleichzeitig auf zwei Beinchen verteilt, sind eine schmerzhafte Angelegenheit – bei Ausflügen mit dem Kackspaten ist erhöhte Vorsicht geboten.
Nach einiger Zeit sind all die Dinge wieder verstaut und sorgsam verpackt – Zeit zum Laden des Floßes, Zeit zum Ablegen.
Der Himmel ist blau mit kleinen, unbedrohlich wirkenden Wolken darin. Es weht eine kaum wahrnehmbare Brise – die Sonne scheint, es ist tatsächlich richtig warm! Das Floß dümpelt dahin und braucht nur anfangs ein wenig Weisung mit Abstoßstange und Paddeln. Nach kurzer Zeit springt der Erste über Bord. Und zwei Kuhweiden später springe auch ich kopfwärts ins kühle Nass. Die Passagiere nehmen dies zum Anlass, um einmal unseren Rettungsring zu testen. Darauf kann man sich super drauflegen und hinterherziehen lassen.
Eine Brücke kommt in Sichtweite. DIE Brücke. Die letzte, die wir mit dem Floß passieren werden. Die Brücke, die an der die Ortschaft liegt, wo sich die Vorräte ein letztes Mal aufstocken lassen. Zwei Mann ins Kanu und fertig machen zum Landen. Es wird ruppig – nach dem 180-grad-Einparkmanöver sieht eine unserer Floßsektionen etwas ramponiert aus. Wird schon halten.
Wir gehen an Land und trotten den Weg hinauf. Wenn man tagelang nur barfuß auf Natur unterwegs ist, stellt man schmerzlich wieder fest, wie heiß Asphalt werden kann.
Die eine Hälfte geht zielstrebig in den Supermarkt, ich bin auf der Suche nach einer Wasserleitung, um unsere Kanister mit Trinkwasser zu füllen. Nach kurzer Zeit werde ich in einem Restaurant fündig. Eine ältere Dame nimmt mir die Kanister mit einem Lächeln aus der Hand, ehe ich zur Frage angesetzt habe, und verschwindet in der Küche.
Voll betankt trotte ich zur Kirche des kleinen Ortes. Sie ist ausnahmslos aus Holz. Selbst die „Dachziegel“ sind aus Holz gesägt. Farzad hat sie scheinbar auch in den Bann gezogen. Er steht bereits davor – wir gehen rein.
„Darf man ohne Schuhe in eine Kirche, Piet?“
„Naja… Eher nicht – aber wir wagen es mal.“
Ich nehme meinen Hut vom Kopf, Farzad zieht sich seinen Palästinenser-Schaal über die Haare.
„Ne Farzad, in Kirchen is‘ immer ohne Kopfbedeckung“
Auch innerhalb der Kirche – alles aus Holz, selbst das Gewölbe an der Decke ist aus Holz. Darauf die Malereien. Diese Kirche ist definitiv alt – sehr alt – aber im äußerst guten Zustand. Wir machen ein paar Fotos und kommen auf die unterschiedlichen Bräuche zwischen Katholischer- und Evangelischer Kirche zu sprechen. Darauf folgt ein kurzer Spaziergang über den Friedhof. Und Farzad steht verblüfft vor einem Familiengrab. „Die passen da doch alle gar nicht rein.“
Im Islam ist es anders, da bekommt jeder seinen Grabstein – und Totenruhe ist nicht 25 Jahre, sondern unbegrenzt. Was in Städten wie Teheran zu Platzproblemen führt, erklärt er mir. Auf dem Rückweg zum Floß vertiefen wir das Gespräch – ich bekomme Fernweh.
Unter der Brücke, an der auch unser Floß festgemacht hat, sitzen einige Männer – offenbar Flüchtlinge – und unterhalten sich auf arabisch (was Farzad glücklicherweise auch versteht) – sollen sie hier bleiben? Es woanders versuchen? Das sind ihre Themen. Sie sitzen dort wie gestrandet.
Ekshärad ist ein wirklich kleiner Ort und Schweden generell seeehr dörflich, kalt und im langen Winter vorallem sehr dunkel… Gegensätzlicher geht es kaum. Diese Männer haben sicherlich Heimweh, denke ich mir. Nach einer Region (im weitesten Sinne), zu der ich gerade noch Fernweh empfand. Ich fühle mich plötzlich unwohl, werde mir meines Glücks bewusst, in das ich quasi hineingeboren wurde. Mir gehen viele Fragen durch den Kopf…
Alle sind wieder an Bord, und ehe wir ablegen wird noch a la Raubtierfütterung das gerade eingekaufte „Brot“ samt Aufschnitt vernichtet. Dann geht es weiter. Beim Abbinden des Seils, was unser Floß hielt, stelle ich fest, dass dieses den Ast halb zersägt hat. Die Einparkaktion hatte offenbar nicht nur am Floß seine Auswirkungen gehabt. Ein weiteres Floß, das sicherlich nur dank eines weiteren beherzten Zickert-Einsatzes die letzte Einkaufsgelegenheit wahrnehmen konnte, tat sicherlich sein übriges.
Max holte mich per Kanu vom Ufer ab, danach schnappten wir uns eine Angel vom Floß und versuchten weiter unser Glück abseits der Hauptströmung – wieder vergebens…
Später dann saß ich mit Simeon im Kanu auf der Suche nach einer passenden Stelle zum Übernachten. Hier nichts, da doof, und schließlich wurden wir doch fündig. Gute Anliegestelle, gemähte Wiese, Feuerholz sicher in der Nähe – und – mückenarm?!
Als Sophie dann 30 min später lautstark und gestikulierend aus dem Wald rausgerannt kam, war klar, dass wir zumindest damit falsch lagen. Doch solange die Sonne noch die Wiese erleuchtete und ein Lüftchen wehte, konnten wir weitestgehend mückenfrei unser Lager errichten und uns mit dem Holz abkämpfen.
Max hatte – wie gewöhnlich – große Pläne fürs Abendmahl. Was allerdings einhergeht mit großem Feuerholzbedarf. Und so gab es dann in Butter und Zwiebeln gedünstete Pilze, Feuerkartoffeln, Würstchen !und! als Dessert frischen NY Cheesecake. Was Schmidt halt so macht in der Wildnis.
Gegessen wurde am Feuer, im geselligen Beisein der mittlerweile eingetroffenen Unmengen an Mücken. Sie waren einfach überall – leider auch vereinzelt im Essen. In der Hoffnung, einen Moment ohne diese essen zu können, zogen wir uns alle zurück, warteten ein paar Minuten, um dann schnell wieder ans Feuer zu rennen. Dann sind die bestimmt für ein paar Minuten noch auf der Wiese! Nein.
Deswegen zog es uns für DEN KUCHEN in das bis dato hermetisch abgeriegelte Mehrfamilien-Zelt. Da haben wir bestimmt Ruhe vor den Mücken. Die sind nicht so schlau und fliegen bestimmt nicht ganz ganz niedrig unter den Zeltspalten durch. Da können wir in Ruhe sitzen! Nein.
Nagut – 2:150 für die Mücken (Daniel hatte bis Dato ein DIN A4 Blatt mit geklatschten Mücken gefüllt.)
Ich freute mich des Lebens und legte mich zu der Liebsten zum Schlafen. Ich war glücklich! Bis zu dem Moment, als mir klar wurde, dass draußen gerade der guute Whiskey aus dem Versteck geholt wurde, ich mir aber gerade die Zähne geputzt hatte.